Trotz bekannter Risiken werden Tausende Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten genehmigt – weil die Bayerische Staatsregierung es zulässt. Das soll künftig nicht mehr möglich sein.
Ob Babenhausen im Unterallgäu, Reichertshofen oder Baar-Ebenhausen im Landkreis Pfaffenhofen – die Namen stehen sinnbildlich für viel Leid, das Hochwasserkatastrophen zuletzt über Bayern gebracht haben. Die Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag will das nicht länger hinnehmen. Um Menschen und deren Existenzen besser zu schützen, bringen die Landtags-Grünen jetzt einen „Gesetzentwurf zur Änderung der Bayerischen Bauordnung, hier: Hochwasserschutz“ ein, mit dem das Bauen in Überschwemmungsgebieten in Bayern künftig nicht mehr möglich sein soll.*
„Die Risiken für Bewohner hochwassergefährdeter Gebiete steigen aufgrund des Klimawandels immer weiter an. Und trotzdem wird weiter in Überschwemmungsgebieten gebaut – obwohl jeder weiß, dass Starkregen und Überflutungen von Jahr zu Jahr zunehmen werden. Ganze Ortschaften stehen dann teils unter Wasser, Menschen verlieren ihr Zuhause, ihre Existenz und im schlimmsten Fall ihr Leben. Solche Katastrophen sind vermeidbar: Wenn nicht genau dort gebaut wird, wo der Fluss sich früher oder später sein Bett zurückholt“, sagt Ursula Sowa, Sprecherin für Bau der Landtags-Grünen.
Doch offenbar ignoriert die Staatsregierung das Problem: Wie die Antwort des Bauministeriums auf eine aktuelle Schriftliche Anfrage der Landtags-Grünen zeigt, wurden in Bayern allein in den letzten fünf Jahren weit über 3000 Ausnahmegenehmigungen für Bauvorhaben in Überschwemmungsgebieten erteilt.** Nur 66 Bauanträge wurden in diesem Zusammenhang abgelehnt. Ursula Sowa, Sprecherin für Bau der Landtags-Grünen, erklärt: „Wie viele Katastrophen braucht es noch, bis Markus Söder und sein Kabinett es kapieren? Es ist längst offensichtlich: Wer zulässt, dass in Überschwemmungsgebieten gebaut wird, setzt Menschenleben und ganze Ortschaften einem Risiko aus, das definitiv vermeidbar wäre.“ Dies gilt auch mit Blick auf Hochwasserlagen, die bisher noch nicht als problematisch angesehen wurden, es aufgrund des Klimawandels jedoch zunehmend werden. „Man könnte auch sagen: Die Überschwemmungsgebiete müssen vor Bebauung geschützt werden – damit sie bei den immer häufiger auftretenden Starkregenereignissen als Sickerfläche zur Verfügung stehen und im Ernstfall überflutet werden können. Auch das dient dem Schutz der Anwohner!“
Mit ihrer angestrebten Änderung der Bayerischen Bauordnung wollen die Landtags-Grünen den Schutz vor Hochwasser und Sturzfluten künftig im Gesetz verankern. Sprich: Der Hochwasserschutz soll bei allen planerischen Abwägungen Vorrang haben. „Wir fordern die Staatsregierung auf, endlich konsequent zu handeln und den Hochwasserschutz in Bayern nicht länger durch widersprüchliche Politik zu gefährden“, so Ursula Sowa. Dies gelte besonders mit Blick auf die Forderung von Ministerpräsident Söder nach einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden: „Da wird nach teuren Versicherungen gerufen und gleichzeitig aber zugelassen, dass in Risikogebieten weiter gebaut wird. Das ist ein geradezu absurder Widerspruch und vor allem extrem verantwortungslos. Es gefährdet Menschen und Eigentum.“
Bereits im Frühjahr dieses Jahres hat sich ein bayernweites Aktionsbündnis Hochwasserschutzgegründet, bestehend aus den Landtags-Grünen und unter anderem dem Eigenheimverband Bayern e. V., dem Landesinnungsverband für das Bayerische Kaminkehrerhandwerk, dem BUND Naturschutz in Bayern e. V., den Stadtwerken Haßfurt sowie dem LBV – Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern e. V.. Es fordert mit einem Aktionsplan umfassende Maßnahmen für besseren Hochwasserschutz in Bayern. „Unser breites Bündnis gibt mir Zuversicht, dass wir mit stetig wachsendem Druck die Staatsregierung endlich zum Handeln bewegen können! Denn wir müssen Menschen, Eigentum und Infrastruktur besser schützen. Hochwasserkatastrophen richten so viel schreckliches Leid und so viele Schäden an. Es muss doch jetzt alles getan werden, was möglich ist, um solchen Katastrophen künftig die schiere Wucht zu nehmen. Dafür braucht es aber klare politische Entscheidungen! Die Bayerische Staatsregierung darf den Hochwasserschutz nicht weiter aufschieben!“, sagt Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, und erklärt: „Wir dürfen nicht länger gegen die Natur bauen – sondern mit ihr planen. Flüssen muss wieder mehr Raum gegeben werden: Dafür braucht es die Renaturierung von Zuflüssen und Auen, Deichrückverlegungen mit fairer Entschädigung sowie dauerhaftem Bewuchs. Gleichzeitig muss die Bodenversiegelung wirksam gestoppt, mehr Grün statt Beton geschaffen und der Flächenverbrauch deutlich reduziert werden. Ausgleichsflächen bei Bauprojekten müssen konsequent umgesetzt und der Hochwasserschutz dabei immer mitgedacht werden.“
* Überschwemmungsgebiete sind Flächen, die bei Hochwasser regelmäßig überflutet werden oder für den Rückhalt von Hochwasser benötigt werden. Sie dienen als natürliche Retentionsräume, die das Risiko von Schäden an Menschen, Gebäuden und Infrastruktur verringern. In Bayern sind derzeit 805 solcher Gebiete amtlich festgesetzt. Dort dürfen Kommunen grundsätzlich keine neuen Baugebiete ausweisen. Ausnahmen sind – eigentlich – nur unter strengen Voraussetzungen möglich.
** Darüber hinaus wurden noch Hunderte weitere Baugenehmigungen erteilt für Flächen, die aktuell als Überschwemmungsgebiet ausgewiesen sind. Diese sollen zwar in den nächsten Jahrzehnten mit einem sogenannten 100-jährigen Hochwasserschutz ausgestattet werden. Dennoch bleiben die Flächen im Anschluss ein sogenanntes Risikogebiet – welches trotzdem bebaut werden darf.
Hintergrund:
Kritiker bemängeln, dass die Umsetzung von Hochwasserschutz oft von politischen, finanziellen und lokalen Interessen gebremst wird und bauliche Maßnahmen wie etwa Deiche allein nicht ausreichen, um alle Risiken zu eliminieren. Auch der Klimawandel und zunehmende Extremwetterereignisse stellen die bisherigen Maßnahmen vor neue Herausforderungen. Die Grünen fordern daher, Überschwemmungsgebiete den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und Hochwasserentstehungsgebiete, die Sturzflutrisiken bergen, auszuweisen.
Schon jetzt gibt eine EU-Richtlinie (2007/60/EG) für ihre Mitgliedstaaten vor, dass Risiken für hochwassergefährdete Gebiete minimiert werden müssen. Für die Umsetzung sind die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene verantwortlich, in Deutschland liegt die konkrete Ausgestaltung und Durchführung bei den jeweiligen Bundesländern, da der Vollzug des Wasserrechts Ländersache ist.
Die schlimmsten Überflutungen in bebauten Überschwemmungsgebieten der letzten Jahre:
- 2024: Besonders betroffen waren Orte an Paar, Zusam, Günz, Mindel, Donau und deren Nebenflüssen. Es kam zu mehreren Dammbrüchen und großflächigen Evakuierungen. Die Schadenssumme in Bayern lag laut Versicherern bei mindestens 1,6 Mrd. € (nur versicherte Schäden), die tatsächlichen Gesamtschäden sind deutlich höher. Drei Todesopfer wurden offiziell gemeldet.
- 2021: Das Juli-Hochwasser traf Bayern weniger dramatisch als Rheinland-Pfalz und NRW, aber auch hier gab es Tote und massive Schäden, besonders im Berchtesgadener Land. Die Gesamtschäden in Bayern wurden auf 0,5–0,7 Mrd. € geschätzt.
- 2013: Die Flut an Donau und Inn war eine der teuersten Naturkatastrophen in Bayern. Besonders Deggendorf und Passau waren betroffen, mit Schäden im Milliardenbereich und zahlreichen zerstörten oder unbewohnbaren Häusern.
Die oben genannte Schriftliche Anfrage finden Sie hier:
Schriftliche Anfrage Drucksache 19/5469 der Abgeordneten Christian Hierneis, Patrick Friedl, Laura Weber, Maximilian Deisenhofer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 30.01.2025 Überschwemmungsgebiete
Weitere Informationen zum Thema Schutz vor Hochwasser und Sturzfluten finden Sie hier:
https://www.gruene-fraktion-bayern.de/presse/pressekonferenzen/gruener-gesetzentwurf-zur-aenderung-des-bayerischen-wassergesetzes/
21.07.2025