Unzählige Bauvorschriften machen das Bauen in Deutschland kostspielig und kompliziert. Sie verhindern individuelle Lösungen und innovative Planungen – und damit auch Neuentwicklungen im Sinne des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit. In der bayerischen Landesbauordnung gibt es nun den neuen Gebäudetyp E - eine kleine Revolution.
Vor kurzem habe ich einen Baustoffe-Hersteller in Reckendorf im Landkreis Bamberg besucht. Wenn man dort den Begriff „DIN-Norm“ fallen lässt, reagiert die Firmenchefin sofort mit einem genervten Stirnrunzeln. Denn die kleine Firma in meinem Wahlkreis Oberfranken hat eine innovative Variante zum Dämmen von Häusern entwickelt - bestehend aus Haselnuss-Schalen und Lehm. Ökologie pur! Aber verbaut wurde das Dämmmaterial bisher noch so gut wie gar nicht. Denn es ist als Baustoff noch nicht anerkannt - nach DIN-Norm.
Das mit den DIN-Normen bremst nicht nur ökologisches Dämmen aus. Es steht auch anderen Innovationen im Weg, behindert unkonventionelle Planungen - und vor allem: Es macht Bauen teuer und hemmt damit nicht zuletzt den sozialen Wohnungsbau.
Vom Trittschall bis zur Dämmdichte
Deutlich wird das an vielen Ecken und Enden. Da scheitert etwa die Baugenehmigung für einen Umbau, weil der Fluchtweg ein paar Zentimeter zu schmal ist. Für den Dachausbau wird eine Mindesthöhe verlangt, aber wäre ein Kinderzimmer mit ein paar Zentimetern weniger nicht doch auch denkbar?
Genormte Dämmung wird bei allen Wänden verlangt. Aber könnte man sie nicht am Nutzer*innenverhalten orientieren und zum Beispiel bei Abstellräumen, Fluren oder Treppenhäusern verringern? Das würde Budget und Ressourcen schonen. Oder die Trittschalldämmung: Sie ist genau und regulär vorgeschrieben, aber nicht zwangsläufig bei jedem Geschoss notwendig - kommt halt auf die Nutzung an. Etwa bei Büros oder einer zweigeschossigen Wohnung: wäre man hier lockerer, ließe sich so mancher Deckenaufbau deutlich verbilligen.
Oder die Vorgaben beim sozialen Wohnungsbau: Da muss es ein Wohnzimmer geben, eine Küche, ein Kinderzimmer, alles mit bestimmten Größen. Manchmal könnte man es besser anders planen, zum Beispiel wegen Licht, Gebäudelage, Mietbedarf. Das aber ist mit hohen Hürden verbunden. Flexible Wände könnten spontane Änderungen möglich machen – auch das ist kaum möglich.
Solche Dilemmata stehen auf Baustellen und in Architekturbüros quasi auf der Tagesordnung. Denn man ist mehr oder weniger gezwungen, sich an gängige DIN-Normen und Baustandards zu halten. Sie machen nicht nur Architekt*innen und Bauherr*innen das Leben schwer, sondern auch Bauen teuer und kompliziert.
Warum nicht ein neuer Gebäudetyp E?
Doch jetzt ist eine Lösung am Horizont in Sicht: der „Gebäudetyp E“. Derzeit gibt es in den Landesbauordnungen die Gebäudeklassen I bis V. Sie richten sich nach der Höhe und der Grundfläche des Gebäudes. Daran anschließend bringen die Gebäudeklassen unterschiedliche Anforderungen zum Beispiel an Baustoffe mit sich. Ein neuer Gebäudetyp E soll diese bisherigen Gebäudeklassen ergänzen. Als baupolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag habe ich diese Initiative der Bayerischen Architektenkammer mit auf den Weg gebracht.
Bayern geht voran
Abweichungen von diesen bauordnungsrechtlichen Regelungen kann die Bauaufsichtsbehörde zwar jederzeit genehmigen – aber das ist komplex, muss einzeln beantragt und begründet werden, und ist somit ein übler Bürokratiekram. Das Novum besteht nun darin: Das „Kann“ in der BayBO wurde jetzt zu einer Soll-Vorschrift, so dass ein regelmäßiger Anspruch auf abweichendes Bauen besteht. Nach diesem Vorbild könnten auch andere Landesbauordnungen geändert werden.
Und das bedeutet der Gebäudetyp E in der Praxis
Architekt*in und Bauherr*in können pauschal vereinbaren, nach dem Gebäudetyp E zu bauen und damit von herkömmlichen Baustandards abzuweichen. So muss nicht mehr für jede Abweichung einzeln eine Genehmigung beantragt werden. Freilich sind die vier grundsätzlichen Schutzziele der BayBO auch weiterhin zu beachten: Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz.
Die Architektenkammer jedenfalls bezeichnet den Gebäudetyp E sogar als Befreiungsschlag, weil man endlich eine generelle Regelung gefunden hat und davon wegkommt, dass der Gesetzgeber mal hier und mal dort an einzelnen Normen herumdoktert. Wichtig ist, dass das Bauen nach Gebäudetyp E freiwillig bleibt, Architekt*in und Bauherr*in können sich darauf einigen, müssen aber nicht. Zunächst gilt der Gebäudetyp E allerdings nur für öffentliche Bauherren und Wohnungsbauunternehmen. Man befindet sich sozusagen noch in der Testphase. Die Politik muss schon darauf achten, dass die neue Freiheit nicht ausufert und von findigen Investoren missbräuchlich zum eigenen Vorteil genutzt wird. Die Gefahr ist da und muss klar im Auge behalten werden.
Haftungsrecht im BGB ist noch zu klären
Aber komplett übern Berg ist man damit trotzdem noch nicht. Denn zirka 90 Prozent der vielen Normen sind gar nicht in Bauordnungen verankert, spielen aber auf anderem juristischem Gebiet eine Rolle, nämlich im Zivilrecht. Anhand der Normen wird häufig beurteilt, ob ein Bau mängelfrei ist beziehungsweise ob ein Haftungsfall eintritt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB muss deshalb eine Öffnungsklausel eingebaut werden. Und die muss der Bundestag beschließen.
In Bayern hat man jedenfalls einen Meilenstein beim Bauen gesetzt – übrigens als erstes Bundesland in Deutschland. So wird das „E“, das man gleichermaßen als „Einfach“ wie als „Experimentell“ lesen kann, hoffentlich bald seinen Siegeszug in der ganzen Republik antreten.