Ein großes Versprechen hallt durch die Republik: Mehr Wohnungen, schnellere Genehmigungen, weniger Papierkram. Die Bundesregierung hat mit ihrem sogenannten „Bauturbo“ die Schlagzeilen erobert.
Doch was viele als Befreiungsschlag gegen steigende Mieten feiern, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als riskanter Schnellschuss. Gerade in Bayern wird klar, dass Tempo nur ein Teil der Lösung sein kann. Für wirklich zukunftsfähigen Wohnraum braucht es mehr – und genau das fordern wir Grünen.
Bauen als politische Prestigefrage
Seit Jahren klagen Menschen in München, Nürnberg oder Augsburg über explodierende Mieten. Ganze Familien finden keinen Platz mehr, Studierende suchen monatelang vergeblich ein Zimmer, und selbst Normalverdiener müssen sich nach dem Rand der Städte orientieren. Die Politik steht unter Druck. Verständlich, dass schnelle Antworten gefragt sind – doch die zentrale Frage bleibt: Wie bekommen wir mehr bezahlbaren Wohnraum, ohne den sozialen Zusammenhalt, das Ortsbild und den Naturschutz preiszugeben?
Zwischen Schnellschuss und Weitsicht – Warum Bayern den grünen Weg braucht
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Die Bundesregierung will mit dem „Bauturbo“ die Wohnungskrise endlich bezwingen. Doch hinter der Fassade vermeintlicher Effizienz lauern große Risiken – und vor allem der Verdacht, dass schnelle Lösungen zu langfristigen Problemen führen können. Gerade in Bayern greift die Debatte um das neue Baugesetz tiefer. Denn hier zeigt sich besonders deutlich: Wohnraumgewinn und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch, sondern gehören aufs Engste zusammen.
Das Versprechen der Beschleunigung und das Fundament der Kritik
Weniger Vorschriften, kürzere Fristen, weniger Mitsprache für Bürger und Kommunen – so liest sich der Katalog an „Erleichterungen“, den das neue Baugesetz schaffen soll. Doch Stimmen aus der Praxis und die Kritik der Bundes- und Bayerngrünen werden immer lauter: Das aktuelle Konzept, vor allem verkörpert durch den umstrittenen §246e BauGB, verschiebt nicht nur zentrale demokratische Prinzipien, sondern droht Bayerns Städte und Dörfer nachhaltig zu verändern.
Der neue Paragraph 246e BauGB erlaubt es, Wohngebäude auch außerhalb bestehender Bebauungspläne in einem beschleunigten Verfahren zu genehmigen. Damit sollen Kommunen kurzfristig neuen Wohnraum schaffen können. Doch das Sonderrecht setzt falsche Anreize: Es fördert Bodenspekulation und das Bauen auf der grünen Wiese, statt bezahlbaren Wohnraum in lebenswerten Quartieren zu schaffen.
Denn genau dieser Paragraf öffnet Tür und Tor für eine Zerfransung von Ortschaften. Anstatt eine behutsame Entwicklung innerhalb bestehender Strukturen zu fördern, ermöglicht das Sonderrecht eine Ausweitung des Bauens an den Rändern, oft ohne Rücksicht auf funktionierende Stadt- und Ortsbilder. Die Folge: Die sogenannten „Bauturbos“ führen dazu, dass neue Quartiere nicht eingebunden, sondern lose außen angesiedelt werden – Infrastruktur, Mobilität und soziale Anbindung bleiben auf der Strecke. Das Resultat ist ein Flickenteppich neuer Siedlungen, der – so die Befürchtung vieler Experten – die Zersiedelung weiter befeuert und Dörfer wie Städte „ausfranst“.
Bezahlbarer Wohnraum ist dringend nötig – doch er darf nicht auf Kosten von Umwelt, Lebensqualität und sozialem Zusammenhalt entstehen. Für die Grünen ist der §246e BauGB eine Mogelpackung: Er mag schnelle Lösungen versprechen, untergräbt aber soziale, ökologische und demokratische Leitplanken. Deshalb fordern wir Grünen, den Paragrafen zu streichen und ein Gemeinwohl-Update des Baugesetzbuchesdurchzuführen. Dieses soll den sozialen und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau im Bestand zur Priorität machen, die Planungsrechte der Kommunen und die demokratische Beteiligung sichern sowie Klimaziele stärken.
Eine nachhaltige Antwort auf die Wohnungskrise liegt nicht im immer schnelleren Neubau, sondern in einem Kurswechsel: im Vorrang der Innenentwicklung, der Sanierung und Umnutzung bestehender Gebäude sowie der intelligenten Nachverdichtung. So entsteht Wohnraum, der sowohl ökologisch wie sozial zukunftsfähig ist.
Umbau statt Abrissbirne – die grüne Bauwende
Die grüne Alternative setzt auf einen tiefgreifenden Kulturwandel im Wohnungsbau – und auf Instrumente, die tatsächlich nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das fängt beim Bestand an: Kaum irgendwo sonst schlummern so viele Chancen für neuen Wohnraum wie in den Dächern, Hinterhöfen und leerstehenden Gebäuden der bayerischen Metropolen. Und genau hier setzt die grüne Initiative für eine „Umbauordnung“ an – ein Regelwerk, das den Bestand ins Zentrum rückt und Umbau vor Neubau stellt.
Statt immer weiter ins Umland zu wachsen, soll vorrangig innen und ressourcenschonend gebaut werden. Das heißt konkret: Genehmigungsprozesse für das Aufstocken und die Umnutzung bestehender Bauten werden vereinfacht, Planungsinstrumente passgenau auf die Herausforderungen im Bestand zugeschnitten. Eine moderne Umbauordnung fördert gezielt die Wiederbelebung von Kaufhäusern, Büros und älteren Wohnhäusern. Für Kommunen, Handwerker und Eigentümer*innen entstehen dadurch bessere Voraussetzungen, mit weniger Bürokratie und gezielten Förderanreizen echten Wohnraum mitten in der Stadt zu schaffen.
Mit einem echten “Umbauturbo” könnten bis zu vier Millionen zusätzliche Wohnungen entstehen – wenn Umbau, Aufstockung und Umnutzung endlich Vorrang vor dem Neubau auf der grünen Wiese erhalten. Diese Wohnungen liegen bereits in unseren Städten, sie müssen nur gehoben werden. Das ist ökologisch klug, sozial gerecht und volkswirtschaftlich sinnvoll.
Sinnvolles Baustoffrecycling – Baustein für echten Klimaschutz
Doch erfolgreicher Umbau heißt auch: Weiterdenken beim Material. Wer heute nachhaltig bauen will, kann nicht mehr einzig auf immer neue Ressourcen setzen. Deshalb fordern wir Grünen einen konsequenten Ausbau des Baustoffrecyclings. Alte Ziegel, Stahl, Holz und Glas aus Rückbauten sollen gezielt wiederverwendet werden, statt als Abfallberge zu enden. Stadt, Land, Bund – alle Ebenen sollen durch gezielte Förderprogramme den Markt für Sekundärbaustoffe beleben. Gerade im Bestand steht häufig viel hochwertiges Material zur Verfügung – das Prinzip „urban mining“ wird so zur gelebten Ressourcenschonung und zum Innovationsfeld für die Bauindustrie.
Das schont die CO₂-Bilanz und macht Bayerns Städte unabhängiger von globalen Lieferketten. Gleichzeitig entstehen neue Perspektiven für Handwerk und kleine Unternehmen vor Ort, denn vor allem regionale Kreisläufe stärken lokale Wirtschaftskreisläufe und fördern nachhaltige Innovation.
Modulares Bauen – Schnell, nachhaltig, flexibel
Wo aber neues Bauen unvermeidlich ist, setzen wir auf modulare und nachhaltige Bauweisen. Das Versprechen: Durch Vorfertigung kompletter Wohnmodule im Werk lassen sich Wohnungen schneller, günstiger und ressourcensparend errichten als im klassischen Bauverfahren. Modulbauten bieten heute höchste architektonische Qualität und maximale Flexibilität: Ganze Raummodule können nach Bedarf kombiniert, später leicht rückgebaut oder an andere Standorte versetzt werden – der Lebenszyklus eines Gebäudes wird so zu einem Kreislauf moderner Nachhaltigkeit.
Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe wie Holz, einer konsequenten Abfallvermeidung und einem Design, das Trennung und Wiederverwendung der Baustoffe schon bei der Planung mitdenkt. Modulbauten eignen sich besonders gut für Aufstockungen und Lückenschließungen im Bestand und helfen, kurzfristig Engpässe – etwa durch Zuzug oder wohnungslose Familien – abzufedern, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln.
Klimaanpassung und Biodiversität stärken
Eine moderne Baupolitik muss das Bauen mit Klima- und Biodiversitätsschutz zusammendenken. Städte brauchen bessere Instrumente, um sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen: Flächen für Regenwasserrückhalt, Entsiegelung, Hitzevorsorge und Begrünung. Deshalb schlagen wir ein Klimamaßnahmenanpassungsgebiet vor, das solche Klimaschutzinstrumente bündelt und vereinfacht.
Klimaanpassung und Biodiversität gehen Hand in Hand: Begrünte Dächer, entsiegelte Flächen und urbane Grünachsen verbessern nicht nur das Mikroklima, sondern fördern auch Artenvielfalt und erhöhen die Lebensqualität in unseren Städten. Diese Ansätze unterstützen zugleich die Nationale Strategie für biologische Vielfalt 2030 und tragen zum Erhalt naturnaher Flächen bei – auch im dicht bebeauten Raum.
Starke Kommunen, faire Bodenpolitik – für ein gemeinwohlorientiertes Bayern
Kommunen sind das Herz der Bauwende. Damit sie handlungsfähig bleiben, müssen sie Flächen sichern können, bevor Spekulation zuschlägt. Deshalb fordern wir eine Stärkung und Ausweitung kommunaler Vorkaufsrechte – auch bei sogenannten Share Deals – und die Anwendung des Ertragswertverfahren, um Kommunen finanziell zu entlasten. So behalten Städte und Gemeinden die Kontrolle über ihre Entwicklung.
Um die Kommunen in ihrer Planungs- und Steuerungsfähigkeit zu stärken, braucht es verbindliche Vorgaben für sozialen und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau. 50 Prozent der Wohnungen, die im Rahmen von Ausnahmen oder Befreiungen entstehen, sollten künftig sozial oder gemeinwohlorientiert sein. Nur so verhindern wir, dass der Bauturbo nicht zum Spekulationsturbo wird.
Gleichzeitig brauchen Kommunen ausreichend Zeit für gute Entscheidungen über Bauvorhaben. Eine Verlängerung der Zustimmungsfrist auf sechs Monate ermöglicht eine sorgfältige Prüfung von Klima-, Verkehrs- und Sozialwirkungen und garantiert echte Bürgerbeteiligung.
Darüber hinaus braucht es eine neue Bodenpolitik. Planungsbedingte Wertsteigerungen dürfen nicht länger zu rein privaten Gewinnen führen. Kommunen müssen an diesen Zuwächsen beteiligt werden, um damit sozialen und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau zu finanzieren. Mit einem gemeinnützigen Bundesbodenfonds soll der Bund Flächen für öffentliche Zwecke sichern und eine gemeinwohlorientierte Bodenbevorratung in Kommunen unterstützen.
Ebenso zentral bleibt der Schutz bestehender Mietverhältnisse. Der Umwandlungsschutz von Miet- in Eigentumswohnungen muss verbessert und angespannte Wohnungsmärkte dauerhaft festgelegt werden. Nur so können Kommunen ihre städtebaulichen Instrumente konsequent anwenden.
Innen vor Außen – Bayerns Zukunft liegt im Bestand
Im Mittelpunkt grüner Wohnraumpolitik steht daher ein klares „Innen vor Außen“. Neue Baugebiete auf der grünen Wiese sind nur noch letzte Option, wenn wirklich alle Potenziale in den bestehenden Siedlungen ausgeschöpft wurden. Denn ungebremster Flächenverbrauch zerstört nicht nur Natur und Landschaft, er verteuert das Leben für alle, da neue Straßen, Schulen und Infrastrukturen aufwendig gebaut und unterhalten werden müssen. Deshalb setzen wir uns für verbindliche Flächensparziele ein, wie das bundesweit angestrebte 30-Hektar-Ziel. Nur wenn Innenentwicklung, Nachverdichtung und Umbau konsequent Vorrang genießen, bleiben Bayerns Ortschaften lebendig und zukunftsfähig.
Fazit: Es braucht einen anderen Mut zur Bauwende
Bayerns Antwort auf die Wohnungskrise liegt nicht in immer neuen Gesetzen mit dem Reizwort „Turbo“, sondern im Mut zum Wandel: in Bestandserhalt, ressourcenschonender Innovation und echter Beteiligung der Menschen vor Ort. Der aktuelle Kurs droht, das bayerische Gemeinwesen weiter zu zerfasern und wertvolle Naturflächen unwiederbringlich zu vernichten.
Wir Grünen zeigen: Es geht auch anders – und der Erfolg beginnt jetzt. Mit einer Umbauordnung, modernen Recyclingkonzepten, innovativem, modularem Bauen und einem maßvollen, am Gemeinwohl orientierten Umgang mit Fläche kann Bayern Vorbild für eine wirklich nachhaltige Bauwende werden. Es ist an der Zeit, neu zu denken, mit Mut und Verstand – für ein Bayern, das lebenswert bleibt.